Publications | Gebrauchsanweisung für Rußland

13.09.2007

Gebrauchsanweisung für Rußland


Mittelstandsberater sieht "Perspektiven ohne Ende" / Früherer Bundesbankchef Welteke: Genau hinzuschauen lohnt sich

FRANKFURT. Rollt der Rubel? Ja, er rollt. Zumindest für Ernst Welteke, den früheren Bundesbank-Präsidenten Er arbeitet mittlerweile für die Bank "Center- invest". Für die Bank wie? Das haben sich vermutlich einige der Wirtschaftsleute im „Hotel Kennedy" in Frankfurt-Sachsen-hausen gefragt, die sich dort Aufklärung über die Marktchancen in Rußland erhofften. Welteke hat sie zumindest in diesem Punkt aufgeklärt. Die „Center- invest", beheimatet im südrussischen Rostow am Don, ist, um Weltekes Worte in knappster Form zusammenzufassen, eine kleine, aber feine Bank. Nur Platz 76 beim Kapitalumfang, Platz 58 nach Gewinn, Platz 26 nach Anzahl der Filialen, aber Nummer eins „nach Leistungsfähigkeit der Vermögensverwaltung".

Zu den Aktionären zählen die European Bank for Reconstruction and Development, die zum KfW-Verbund gehörende Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft und die Raiffeisen Landesbank Oberösterreich. Welteke ist Mitglied des Vorstands und reist mehrmals im Jahr an den Don, um seinen Pflichten nachzukommen. Ob er in Rubel, in Euro oder Dollar bezahlt wird, hat er nicht erzählt, doch darf man davon ausgehen, daß für ihn der eine oder andere Rubel rollt.

Bei wie vielen Teilnehmern der Rußland-Veranstaltung dies auch der Fall ist, blieb offen, auch wenn Herbert Pfennig,

Vorstandsmitglied der Frankfurter Sparkasse und Gastgeber, das Treffen mit der Frage eröffnete: „Überlegen Sie noch, oder rollt der Rubel schon?" Es war eine rhetorische Frage, auf die er keine Antwort erwartete, aber sie beinhaltete die Grundüberzeugung der Veranstalter und der Referenten: daß ein Engagement in Rußland für deutsche Firmen hoch attraktiv ist - sofern sie es richtig anstellen.

Wie sie es richtig anstellen beziehungsweise was sie alles falsch machen können, das berichteten ihnen in knapper Form rußlanderfahrene Wirtschaftsleute. Zum Beispiel der Anwalt Rainer Wedde, Partner bei Beiten Burkhardt, einer auf Rußland-Verträge spezialisierten Kanzlei. Er ließ die Zuhörer wissen, daß Rußland kein „wilder Osten" mehr sei, daß aber Korruption und Rechtsunsicherheit weiterhin Schwachstellen in Putins Boomland darstellten. „Sie bekommen recht, aber sie brauchen mindestens drei Instanzen", berichtete er. Wobei das alles aber innerhalb eines Jahres ablaufe. In der Frage der Korruption war sein Rat eindeutig: „Auf keinen Fall darauf einlassen. Sie machen sich strafbar und abhängig."

Auch sonst wußte Wedde manch Interessantes zu berichten: etwa daß in Moskau die Immobilienpreise erheblich über denen in Frankfurt liegen, daß Mitbestimmung für russische Unternehmen ein Fremdwort ist, dafür aber Mitarbeiter fak-

tisch nicht gekündigt werden können, selbst aber eine Kündigungsfrist von nur 14 Tagen haben. Und weil gute Arbeitskräfte in den Boomtowns Moskau und Sankt Petersburg laut Wedde rar sind, besteht die Gefahr, daß eine wichtige Kraft von heute auf morgen zur besser zahlenden Konkurrenz wechselt. Und, so Wed-des Rat, daß man sich seine Markenrechte für Rußland unverzüglich schützen lassen sollte - auch wenn man noch nicht dorthin exportiert. Dies alles sei der Preis für höhere Gewinnmargen und Chancen.

Hohe Chancen - für Harald Bieler, Seniorpartner der Russicon-Gruppe, die im Punkt Rußland-Beratung als erste Adresse für den Mittelstand gilt, ist diese Wertung noch zu schwach. Er sprach von „Perspektiven ohne Ende". Ein Unternehmen müsse schon viele Fehler machen, um dort nicht erfolgreich zu sein. In vielen Branchen gebe es noch kaum Konkurrenz, ein neues Unternehmen könne sich also relativ leicht positionieren. Unabdingbar sei es aber, zuverlässige Partner zu finden. „Schicken Sie um Gottes willen keinen jungen und unerfahrenen Menschen als Generaldirektor nach Moskau", riet er seinen Zuhörern. Und als Chefbuchhalter nehme man am besten eine Russin, die russischen Frauen seien oft zuverlässiger.

Aber birgt Rußland gar keine Risiken? Kann sich nicht etwa die Krise von 1998, als der Staat sich für zahlungsunfähig er-

klärte, wiederholen? Welteke hat jene Zeit als Präsident der Landeszentralbank Hessen erlebt und jetzt die Entwicklung nachgezeichnet: das desolate Bankensystem, übertriebene Aktienspekulationen, der ungesunde Boom, fehlende Steuereinnahmen des Staates. In den acht Jahren danach hat sich laut Welteke vieles deutlich verbessert in Rußland. Das Land ist schuldenfrei, verzeichnet einen Haushaltsüber-schuß, hat einen Krisenfonds für Notfälle und die Inflation von 85 auf unter zehn Prozent gesenkt, glänzt mit einer Wachstumsrate von durchschnittlich sieben Prozent. „Eine Wiederholung der Krise ist unwahrscheinlich:" Aber es blieben Risiken: das große Demqgraphieproblem, die Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten, ein noch nicht westlichen Standards genügendes Finanzsystem, das dramatische Gefalle zwischen den 75 000 Millionären allein in Moskau und der armen Masse der Bevölkerung. Doch kommt er zu dem Schluß: „Es lohnt sich für deutsche Unternehmen, genau hinzuschauen."

Natürlich nicht nur in Moskau, sondern auch in Südrußland, jener Großregion, wo „Center-invest" stark ist. Und selbstverständlich hilft bei der Finanzierung eines Geschäfts auch der Veranstalter der Tagung, die Frankfurter Sparkasse. Ihre Mutter, die Helaba, richtet in Moskau übrigens gerade eine Außenstelle ein. Damit noch mehr Rubel rollen.   HANS RIEBSAMEN